Personalgestellungen im öffentlichen Dienst: Verstoß gegen Europarecht?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 16.6.2021 den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung zweier Fragen zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie ersucht.
Praktische Bedeutung des Instruments
Das Thema Personalgestellung betrifft Fälle, in denen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes Aufgaben auf Dritte übertragen.
Der Arbeitgeber kann dann auch verlangen, dass der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung bei dem Dritten erbringt. Dies ist häufig der Fall, wenn Verwaltungsaufgaben privatisiert werden.
Für den Arbeitnehmer heißt das, dass er zwar bei einem anderen Betrieb arbeitet, der Dienstherr aber immer noch der gleiche ist.
Im Fall der Personalgestellung müssen die Beteiligten sicherstellen, dass die Beschäftigten des bisherigen Aufgabenträgers künftig im Betrieb des Nachfolgers eingesetzt werden. Hier regelt § 613a BGB dass im Fall eines Betriebs- oder Betriebsteilübergang die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes auf den neuen Aufgabenträger übergehen. Das ist allerdings keine unabdingbare Regelung. Denn es gibt auch Aufgabenübertragungen ohne Betriebs(teil-)Übergang.
Außerdem könnte der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen, z.B. weil er schlechtere Arbeitsbedingungen beim neuen Aufgabenträger befürchtet oder weil die Fragen im Zusammenhang mit der Zusatzversorgung ungeklärt sind. Das Arbeitsverhältnis bleibt dann bei dem bisherigen Aufgabenträger.
Tarifverträge für den öffentlichen Dienst ermöglichen Personalgestellung
Die Personalgestellung ist in § 4 Abs. 3 TVöD / TV-L definiert. Demnach ist Personalgestellung die auf Dauer angelegte Beschäftigung bei einem Dritten unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Personalgestellung ist dauerhaft angelegt. Die dem Dritten gestellten Arbeitskräfte werden in dessen Betrieb eingegliedert und führen ihre Arbeit nach dessen Weisungen aus.
Handelt es sich bei Personalgestellung um Arbeitnehmerüberlassung?
Die Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Dritten und das Tätigwerden nach dessen Weisungen sind auch zentrale Elemente einer Arbeitnehmerüberlassung, die durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) streng geregelt ist. Nach diesem Gesetz darf ein Leiharbeitnehmer einem Dritten nur „vorübergehend“, i.d.R. für längstens 18 Monate, überlassen werden. Überdies haben Leiharbeitnehmer Anspruch auf das gleiche Entgelt und die gleichen wesentlichen Arbeitsbedingungen – etwa Urlaub und Lohnfortzahlung – wie Stammkräfte des Entleihers.
Im Zuge der Regulierung der Leiharbeit sollte die Personalgestellung im öffentlichen Dienst nicht eingeschränkt werden. Daher wurde sie durch eine Sonderregelung (Bereichsausnahme) von der Anwendung des AÜG ausgenommen (§ 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG).
Bereichsausnahme auf Grund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes?
Die europäische Richtlinie über Leiharbeit gilt auch für öffentliche Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, auch wenn sie eventuell keine Erwerbszwecke verfolgen. Das BAG bezweifelt deshalb, ob es mit der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar ist, Personalgestellungen von den Schutzvorschriften des AÜG auszunehmen.
BAG legt EuGH Fragen zu Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie vor
Das Bundesarbeitsgericht hat nun dem Europäischen Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie vorgelegt. Zum einen soll der EuGH klären, ob die Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD unter den Schutzzweck und damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Falls diese der Fall ist, möchte das BAG wissen, ob die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme wie die in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG geregelte zulässt.
Konkreter Fall: Ausgliederung der Aufgaben eines Krankenhaus-Beschäftigten
Auslöser war der Fall, eines Beschäftigten eines Krankenhauses. Dieser arbeitete nach der Ausgliederung seiner Aufgaben im Rahmen einer Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD dauerhaft bei einer Service GmbH. Der Kläger ist bei der beklagten GmbH seit April 2000 beschäftigt.
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Klägers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft im Wege der Personalgestellung bei einem Drittunternehmen zu erbringen, nachdem sein Aufgabenbereich zu diesem verlagert worden ist.
Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gegeben?
Die Beklagte ist Betreiberin eines Krankenhauses, deren Trägerin und einzige Gesellschafterin eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist. Letztere besitzt keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für kommunale Arbeitgeber geltenden Fassung Anwendung.
Personalgestellung erfolgte im Jahr 2018
Im Juni 2018 gliederte die Beklagte verschiedene Aufgabenbereiche auf eine neu gegründete Service GmbH aus. Dazu gehörte auch der Arbeitsplatz des Klägers. Die Ausgliederung führte zu einem Betriebsteilübergang. Der Kläger widersprach nach § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Service GmbH. Allerdings erbringt er seit Juni 2018 auf Verlangen der Beklagten seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Wege der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD bei dieser GmbH.
Sein Arbeitseinsatz ist auf Dauer angelegt. Das zwischen ihm und der Beklagten vereinbarte Arbeitsverhältnis besteht jedoch mit dem bisherigen Inhalt fort. Die Service GmbH hat nur ein fachliches und organisatorisches Weisungsrecht gegenüber dem Kläger.
Dauerhafte Personalgestellung: Verstoß gegen Europarecht?
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, sein Einsatz bei der Service GmbH verstoße gegen Unionsrecht. Bei der Personalgestellung i. S. v. § 4 Abs. 3 TVöD handele es sich um eine dauerhafte - und damit nach der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit - rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung. Die Beklagte hat demgegenüber gemeint, die Personalgestellung sei bereits aufgrund der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) keine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 13.7.2020, 7 Sa 19/20).
BAG legt EuGH Fragen zur Personalgestellung vor
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 16.6.2021 den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung folgender Fragen zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG ersucht:
1. Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit Anwendung, wenn – wie in § 4 Abs. 3 TVöD bestimmt – Aufgaben eines Arbeitnehmers zu einem Dritten verlagert werden und dieser Arbeitnehmer bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis zu seinem bisherigen Arbeitgeber auf dessen Verlangen die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei dem Dritten erbringen muss und dabei dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Dritten unterliegt?
2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:
Ist es mit dem Schutzzweck der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar, wenn wie durch § 1 Abs. 3 Nr 2b AÜG die Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD aus dem Anwendungsbereich der nationalen Schutzvorschriften bei Arbeitnehmerüberlassung herausgenommen wird, sodass diese Schutzvorschriften auf die Fälle der Personalgestellung nicht anzuwenden sind?
Kein Vertrauensschutz
Falls der EuGH die Leiharbeitsrichtlinie auf Personalgestellungen anwendet, würde die Bereichsausnahme im AÜG ersatzlos fallen. Das BAG hat schon jetzt deutlich gemacht, dass eine richtlinienkonforme Auslegung der Bereichsausnahme nicht möglich sei. Zudem ist ein Vertrauensschutz für bislang praktizierte Personalgestellungen nicht zu erwarten.
(Bundesarbeitsgericht, Beschluss v. 16.6.2021, 6 AZR 390/20 (A))