Arztbesuch während der Arbeitszeit – Insbesondere im Hinblick auf Corona-Impfungen

Der Arztbesuch während der Arbeitszeit ist im Arbeitsalltag häufiges Streitthema. Unter welchen Voraussetzungen darf ein Arbeitnehmer einen Arzttermin während der Arbeitszeit unter Fortzahlung seiner Bezüge wahrnehmen? Außerdem: Gilt für Corona-Impfungen Besonderes?

Arztbesuch und Heilbehandlungen sowie sonstige medizinische Anwendungen gelten rechtlich als Privatsache der Beschäftigten. Sie sind daher grundsätzlich in deren Freizeit wahrzunehmen. Die hierzu ergangene Rechtsprechung stützt sich im Wesentlichen auf ein altes, jedoch aktuell noch immer zitiertes Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.02.1984, 5 AZR 92/82.

Arztbesuche sind Privatsache – Kriterien für etwaige Ausnahmen

Aus der Rechtsprechung haben sich für dieses Problemfeld folgende Kriterien entwickelt:

  • Einen Anspruch auf entgeltliche Freistellung haben Arbeitnehmer, wenn der Arztbesuch während der Arbeitszeit „notwendig“ ist, also „akute Krankheitssymptome“ umgehende ärztliche Hilfe erfordern. Darunter fallen grundsätzlich keine Vorsorgeuntersuchungen. Ebenso keine Heilbehandlungen wie Krankengymnastik oder Inhalationen.
  • Doch auch bei notwendiger Inanspruchnahme eines Arztes gilt der Grundsatz, dass sich der Patient um einen Termin außerhalb der Arbeitszeit bemühen muss. Scheitert der Versuch, kann der Arbeitgeber unter Umständen ein „Terminattest“ des behandelnden Arztes verlangen.
  • Lässt sich beim behandelnden Arzt kein Termin außerhalb der Arbeitszeit einrichten, kann der Arbeitgeber nicht etwa einen Arztwechsel verlangen. Die Rechtsprechung hat anerkannt, dass die freie Arztwahl einen höheren Rang genießt als das Interesse des Arbeitgebers, den durch einen Arztbesuch entstehenden Personalausfall zu vermeiden.
  • Facharzttermine sind nicht selten etliche Wochen im Voraus ausgebucht, für Patienten besteht dann auf lange Sicht keine freie Terminwahl. In solchen Fällen können Arbeitnehmer berechtigt sein, den angebotenen Termin wahrzunehmen. Allerdings sollten Beschäftigte versuchen, einen Termin frühmorgens oder zum Ende der Sprechstunde zu erhalten, um den Arbeitsausfall gering zu halten.
  • Blutproben sind in aller Regel morgens nüchtern wahrzunehmen. Den entsprechenden Arbeitsausfall haben Arbeitgeber zu akzeptieren.
  • Für die Begleitung von Kindern oder sonstigen Familienangehörigen gelten die vorstehenden Maßstäbe sinngemäß. Der Arbeitnehmer ist jedoch verpflichtet, dem Arbeitgeber nachzuweisen, dass die Begleitung erforderlich ist.

In Konfliktfällen Personalvertretung einbinden

Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bietet es sich an, die Personalvertretung einzubeziehen. Denn nach § 67 Abs. 1 BPersVG und der entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen haben Dienststelle und Personalvertretung (gemeinsam) darüber zu wachen, dass alle Beschäftigten nach Recht und Billigkeit behandelt werden.

In jedem Fall haben Beschäftigte den Arbeitgeber unverzüglich über anstehende Arzttermine zu informieren. Vernachlässigen Beschäftigte diese Pflicht, kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen – wie eine Abmahnung – nach sich ziehen.

Fortzahlung der Vergütung?

Der Rechtsanspruch auf Fortzahlung der Vergütung bei notwendigem Arztbesuch während der Arbeitszeit ergibt sich aus § 616 BGB in Verbindung mit § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz. In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes wie TVöD und TV-L sind keine speziellen Reglungen zu diesem Komplex enthalten. Folglich finden die vorstehenden Kriterien auch auf Beschäftigungsverhältnisse bei öffentlichen Arbeitgebern Anwendung.

Das Interesse jedes Arbeitnehmers an baldiger Corona-Impfung steht außer Zweifel. Impftermine sind gegenwärtig jedoch rar. Daher dürften Arbeitnehmer berechtigt sein, den nächsten angebotenen Termin – in welchem Impfzentrum auch immer – während der Arbeitszeit anzunehmen. Sobald sich jedoch die Impfsituation entspannt, insbesondere behandelnde Ärzte Impfungen anbieten können, werden die vorstehenden Kriterien für Arztbesuche auch für Impfungen entsprechend gelten.

Über den Autor

Gerd Tiedemann, eigenständiges Mitglied im dozenten.team, Regierungsdirektor a.D.(Diplom-Verwaltungswirt); ehem. Ortsamtsleiter (sog. „Stadteilbürgermeister“) Hamburg–Finkenwerder sowie Dezernent Bürgerservice im Bezirksamt Hamburg – Mitte, Dozent bei der dbb akademie und bei Walhalla Seminare mit den Themen Arbeits- und Tarifrecht, Personalvertretungsrecht¸ Kommunikationstechniken, Vermittlung mediativer Kompetenzen, Konfliktmanagement, Moderation von Klausurtagungen für Personalräte und Personalverantwortliche